Edelsteine – wo Farbe ist           

 

Zur Malerei von Ute Schätzmüller          

                                              

 

Ausgefranst sind die Stoffe, auf denen Ute Schätzmüller ihre Bilder malt, und wirken auf den Betrachter wie bemalte Leinwandfetzen. Rechte Winkel und gesäumte Abschlüsse sucht der Schauende vergeblich. Auf diese Weise entstehen scheinbar zufällige Formate: große und kleine.

Viele der Bilder sind – wenigstens auf den ersten Blick – düster, dunkel und mit Farben gemalt, die kaum als freundlich zu bezeichnen sind. Dennoch finden sich nahezu alle Farben der Palette und dort, wo der Betrachter diese Farben findet, wirken sie wie kleine, kostbare Edelsteine, die aus der relativen Farblosigkeit hervorblitzen und funkeln.

Die Pinsel, mit denen Schätzmüller arbeitet, sind weich, gestatten gute Trennungen der Farben und ein gutes Modellieren der Darstellung. Das Arbeiten geht – da die Werke genau vorgeplant und vorbereitet sind – zügig von der Hand.

Umfangreich ist das zeichnerische Werk Schätzmüllers, das Inspirationsgedächtnis, Ideensammlung und Motivfundus der großformatigen Werke ist. Diese Zeichnungen sind fast ausschließlich in Skizzenbüchern zu finden, tagebuchartig werden die Bücher Seite für Seite mit narrativen Bildern beschrieben. Mit dem Bleistift wird modelliert. Dünn und spitz wird der Bildgedanke ausgetragen und konserviert. Es ist für die Zeichnerin, „fast wie mit dem Finger zu zeichnen“. Der Bleistift wird zur Verlängerung des Zeigefingers und der Hand.

Dies lässt erahnen, Schätzmüllers Malerei ist nicht bloß eine Malerei des Zufalls, des Intuitiv-Spontanen und Ungeplanten. Mit etlichen – zum Teil sehr genauen – Skizzen wird eine Idee entwickelt, vorbereitet und schließlich ausgeführt. Vor dem Malen wird der Malgrund grundiert, doch nicht wie üblich flächendeckend und monochrom. Dünnflüssige Farbe wird mit den Händen, mit dem Pinsel oder durch Darüberlaufen auf die Leinwand aufgetragen und ungleichmäßig verteilt. So entsteht ein fleckiger, Mal- und Hintergrund, der bei den fertigen Bildern deutlich wahrzunehmen ist und Teil hat an der Gesamtkomposition eines Bildes. Planung und Zufall sind an der Entstehung dieser landschaftsartigen Unter- und Hintergründe gleichermaßen beteiligt. In und zwischen den entstandenen Flächen und Flecken wird die Darstellung, das Bild, erschaffen. Diese Farbflächen werden somit im wahrsten Sinne des Wortes Schau-Plätze der Szenarien – hier werden die Szenen der im Hintergrund laufenden Narrationen für den Betrachter sichtbar.

Schon in früheren Werkgruppen entstanden Schätzmüllers großformatige Bilder auf dem Boden liegend. Manches Mal lagen diese Bilder auch vor Ausstellungen auf dem Boden von Räumen oder Fluren, auf den Wegen von Passanten. Dabei interessierte die Malerin auch die Reaktionen der Betrachter – das Darauf-Treten und das Vermeiden, das Bild zu betreten. Beides waren mögliche und legitime Herangehensweisen – im wörtlichen Sinne. Diese frühen Erlebnisse noch zu Studienzeiten Schätzmüllers veranlassten sie, die Idee eines begehbaren Bodenbildes weiter zu verfolgen und schließlich in dem foyer-füllenden Werk „Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate!” / „abandon all hope who enter here“ / „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!” (Dante Alighieri, divina commedia) zu realisieren.

Der Titel des Werkes zitiert die Inschrift des Höllentores, durch das Dante in seiner Göttlichen Komödie die Vorhölle betritt, den Vorort des Infernos wo jene leiden, die weder gut noch böse waren. Jene Unbestimmtheit der Figuren findet sich auch oft in Ute Schätzmüllers Werken. Die Räume, in denen wir den Figuren begegnen, sind meist fremdartig. Andere Welten, Unterwelten, können diese Räume sein. „river styx“ nennt Schätzmüller eines ihrer Bilder. Erde und Schlamm sind hier mit Acrylbinder auf die Leinwand gebracht. Es entstehen Schichtungen von Farbmaterialien und Assoziationen zum Unterweltsfluss. Ebenso vielschichtig und uneindeutig bleibt die Bestimmung der Figuren.

Ute Schätzmüller strebt nicht danach, heitere Freudenszenen ins Bild zu setzen, sie erzeugt Stimmungen. Sie sind es auch, die sogleich den Betrachter erfassen. Eine gewisse Melancholie und Trauer scheint über den Bildern zu liegen. Manchmal wirkt dies wie eine apokalyptische Vision vom Ende der Welt mit einem einsamen und vereinsamten Menschen im Bild. So scheint eine der Figuren in dem Werk „river styx“ farblos, durchscheinend, ephemer, wie ein nur kurz an diesem Ort weilendes Wesen. Anders zeigen Werke wie „dawn“, „standing“, „pyrophoros“ oder „last one“ einen einzelnen, über Landschaften, Steingebilden oder leblosen Körpern stehenden Menschen. Wer diese exponierte Figur ist, welche Rolle sie in dieser Szenerie einnimmt, was sie bewegt, bleibt unerklärt.

Geschichten werden in den Bildern erzählt, und dennoch bleibt die Narration dem Betrachter verborgen. Sehr persönlich sind diese Geschichten, und sie sind Teil der Erzählerin, der Malerin, die es aber vermeidet, genau zu berichten, was sie erzählt. Die Bilder werden daher auch zu Objekten, bei denen sich der Rezipient seine eigenen, neuen Geschichten erdenkt. Das ist erlaubt – und auch beabsichtigt.

„The void it frightens me“ etwa nimmt formal Bezug auf die christliche Bildsprache, zeigt scheinbar eine Kreuzigung mit rechts im Bild kauernder, büßender Maria Magdalena. Es ist ein großes Format von 150 x 200 cm. Das Dunkel folgt der Heiligen, doch vor ihr und über ihr klart es auf. Die Leere lässt sie fürchten. Aber es ist eine Furcht, der die Erlösung von der Verzweiflung, die Rettung, naht. Schätzmüller versteht christliche Tradition und christliche Themen als eine Form des Mythos, an dem gearbeitet wird und weiter gearbeitet werden muss. Die Künstlerin stellt, wie sie sagt, hier keine Kreuzigung Jesu Christi dar, doch die Assoziation und die Allusion von Kreuzigung sind beabsichtigt. Das Was der Darstellung, das persönliche Erleben hinter dem Bild, wird jedoch nicht artikuliert. Auf diese Weise können die Sicht der Malerin und die Sicht des Rezipienten weit auseinander liegen. Diese Diskrepanz ist beabsichtigt, vielleicht ist es gar eine gewollte Verschlüsselung von Erlebtem.

Die Bilder, die Ute Schätzmüller, malt, sind keine heiteren Szenen des Lebens. Es sind immer Bilder, die einen einzelnen Menschen und Anderes bzw. Andere zeigen. Die Entschlüsselung des Gesehenen wird so auf den einzelnen Betrachter in seinem innerlichen Alleinsein während des Bildsehens zurückgeworfen. Aber es sind Bilder, die etwas offenbaren können, Bilder, in denen es für den Schauenden viel zu entdecken gibt, Bilder, die der Rezipient in sich neu erschaffen, neu ausdenken darf.

 

                                                                                                        Dr. Thomas Blisniewski,

Universität zu Köln