Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Ute Schätzmüller! Sehr geehrte Frau Pitzen!


„at dusk, at dawn“ - besser hätte Schätzmüller den Titel der Ausstellung nicht wählen
können, denn die Dämmerung lässt uns Dinge in den nur ihr eigenen typischen Farben
erscheinen. Die graublauen Farben des Erdschattenbogens, das durch die Staubpartikel
in der Atmosphäre erzeugte Purpurlicht, das farbige Streulicht des Sonnenuntergangs
(das Alpenglühen), die Perlmuttwolken der weißen Nacht und die blaue Stunde.
All diese optischen Phänomene der Dämmerung, lassen die Dinge nicht in reinem
Glanze erscheinen und die Formen verschwinden.


Auf den hier gezeigten Drahtlithografien „dawn“ und „dusk“ (beide von 2012) arbeitet
Schätzmüller mit eben diesen dämmerungstypischen Farben und das Zusammenspiel von
Form, Farbe und Licht ist alles andere als willkürlich zu nennen, sondern reich an
atmosphärischen Effekten. So konturiert sich die Form als Abdruck aus schwarzer
Tusche auf Papier, und Ute Schätzmüller kombiniert diese anschließend durch den
kontrollierten Einsatz von gedeckter Farbe, später kommen mit Druckerschwärze
eingeriebene Drahtfiguren hinzu, die es als Vorstudie der Zeichnung in ihrer Malerei zu
klassifizieren gilt.


Während auf der Lithografie „dawn“ im Lichte der Morgendämmerung die aufgehende
Sonne die Figur einer über toten Körpern knienden Frau erhellt, verschleiert der Auftrag
von schwarzer Farbe bei der Abenddämmerung „dusk“ jede darunter liegende Form
oder Figürlichkeit.
Ute Schätzmüller kehrt auf ihren Bildern zu den Ursprüngen der modernen Malerei
zurück, dorthin, wo die Gegenstände ihre Konturen verlieren und sich im Spiel der
Farben auflösen.
Und so hält Schätzmüllers akademischer Lehrer Prof. Jörg Eberhard fest, „die
Lithografie bietet der Künstlerin die Trennung und eigenständige Bearbeitung der Form
und der Farbe“.1 Folgerichtig ist es die Arbeit an der Lithographie, die sie zu ihrer
heutigen Malweise führt: Schätzmüller entwirft Landschaftsräume mit starker Tendenz
zum Informell, zur rein gestischen Malerei und gleichzeitig betont die Künstlerin den
„Hunger nach Figur“ und resümiert damit nicht nur die eigene Präferenz: „Der Mensch,
das Wesen, die Figur ermöglicht immer den Zugang des Betrachters in das Bild“ und
„durch die Figuren gebe ich den Bildern eine Handlung bei“.


„and so it begins“ (2014) In vielerlei Hinsicht offenbart dieses Gemälde keine
freundliche, für den Betrachter leicht zugängliche oder einladende Szene. Das Bild zeigt
keinen spezifischen Ort. Eine stille, mit gesenktem Haupt, in fast theatralischer Pose
ausharrende Figur weist den Weg in den leeren Raum. Ein Gerechter der Vorzeit, die
Endzeit voraussehend, vielleicht. (Daniel (bleeding) von 2013 ist auch so ein Bild.). Dem
entgegengesetzt ist „and so it begins“ keineswegs ein ruhiges Werk. Es ist von Energie
und Spannung durch die Symbolkraft des ausgestreckten Armes geprägt. (Eine ähnliche
Energie lässt sich auch auf dem Bild „... would YOU keep it?“ beobachten. Die beiden
Hände berühren sich nicht und in der Bildmitte entsteht eine starke dynamische
Spannung und Symbolkraft.)
So fängt es an. Schätzmüllers virtuoser Einsatz von Schwarz über den sonst gedeckt
aufgetragenen Farben des Bildes lässt eine paradoxe Trennung aus starker Figürlichkeit
und scheinbarer Verschmelzung mit dem Raum entstehen. Und so beginnt es. Neu.
Es beginnt bei ihr, wie immer, mit der privaten Imagination, die, anders denn die
Wahrheit, erinnerungsbasiert, also konkret ist. Das allein aber führt zu nichts, das weiß
auch Schätzmüller.


Überraschend romantisch nenne ich die Figuren Schätzmüllers, einen Bruch ortend, der
die Welt gespalten hat, in die Welt der Vernunft und die Welt des Gefühls und des
Wunderbaren. So war die treibende Kraft der deutschen Romantik eine ins unendliche
gerichtete Sehnsucht nach Heilung der Welt, nach Zusammenführung von Gegensätzen
zu einem harmonischen Ganzen. Schätzmüllers Malerei bedarf hingegen keiner
symbolischen Orte zur Manifestation dieser Sehnsucht. Keiner nebelverhangenden
Waldtäler oder mittelalterlichen Klosterruinen.
Blickt man auf das Bild „The guardian“ (2014), auf den Beschützer, Betreuer oder auch
Hüter, wird auch hier das Leitmotiv der Romantik Thema der Betrachtung: Die Suche
nach Schutz, innerer Einheit, Heilung und Unendlichkeit.
Feine Verläufe von mit Wasser vermischter Acrylfarbe auf der Leinwand, die sich wie
zarte Risse durch die Firniss ziehen oder markant hervortreten und so Lichtverläufe
evozieren, sprechen von Zufälligkeit und hängen doch auf das Engste mit der sichtbaren
Szene zusammen, den Bildhintergrund bis hin zur Formauflösung der Interpretation
durch den geneigten Betrachter preisgebend. Ein Strand, ein Meer oder ein See?
Handelt es sich überhaupt um ein Stück Natur? Man weiß es nicht.
Durch ihre verschwommene Maltechnik erzeugt Schätzmüller eine unmittelbare
Stimmung - als wäre der Betrachter ein Teil der Szene und vielleicht völlig erschöpft von
der Anstrengung der Rettung oder der Rolle des Beschützers.
Schätzmüller gelingt es in Vollendung, eine Aura des Unbewussten und Irrationalen zu
schaffen, und so wundert es nicht, dass neben menschlichen Figuren auch Tiere, in
diesem Fall Wölfe, als Begleiter fungierend oder auch allein, auftauchen.
Kraft (angesichts) der Wölfe fällt es auch nicht schwer, in dem Bild „drawing nearer“
einen märchenhaften Charakter auszumachen. Einsam und in sich versunken harrt die
Figur im dunklen Wald (Und auch hier wieder die Frage, handelt es sich um einen
Wald?), während ein Wolfsrudel in kurzer und neugieriger Distanz ein waches Interesse
zeigt. Weder unheimlich noch bedrohlich. Der Wolf, ein Tier der Dämmerung, der
Dunkelheit, nachtaktiv, und so könnte man recht uncharmant behaupten, Schätzmüller
benutze den Mythos, um den Inhalt zu stützen. Aber wir haben es hier mit einer
ungewöhnlich professionellen Künstlerin zu tun und auf das Ästhetische bei Ute
Schätzmüller bezogen: „Alles im Kunstwerk Erscheinende ist virtuell Inhalt so gut wie
Form, während diese doch das bleibt, wodurch das Erscheinende sich bestimmt, und
Inhalt das sich Bestimmende.“2


Es geht um Zwischentöne, subtile Kontraste zwischen Licht und Schatten, Schwarz und
Weiß, aber auch zwischen Realität und Fiktion, Diesseits, Jenseits, Heute und Gestern.
Poetisch möchte man diese Kunst nennen, hervorgebracht ohne sichtbare Vollendung
des Bildes, ohne als absolut gesetzte Idee. Und erst dies macht eine Atmosphäre
möglich, die eine Geschichte vor dem inneren Auge des Betrachters entstehen lässt,
denn „alles Dargestellte muss aus der Erfahrung des Auges neu entstehen, die Instanz
der Materialität durchlaufen, die ihm allererst eine spezifische Sichtbarkeit verleiht“ .
Glücken kann dies nur, weil Inhalt und Darstellungsmittel zueinander passen. Die Welt
der Künstlerin ist bei aller Melancholie und Mystik plausibel. Schätzmüller gelingt es in
Vollendung, ihre Darstellung „durch das Nadelöhr einer sinnlichen Formulierung
hindurchtreten“ zu lassen und dennoch den Nimbus des Geheimnisvoll-Narrativen zu
bewahren, die den Betrachter gleichermaßen als Nach- und Neuschöpfer ihres Werkes
identifziert, ihm die ideale Position zuzuweisen und eine tiefe Seelenempfindung
auszulösen vermag: „Dem Werk gegenüber blieb dennoch Melancholie zurück, weil es
das Dilemma des Subjektes, unendlich zu fühlen und doch endlich zu sein, allzu deutlich
widerspiegelt.“3


                                           Alexandra Grass M.A., 01.02. 2015,


Eröffnung der Ausstellung "At dusk , at dawn"

in der  Städtischen Galerie im Park Viersen





Götz, Karl Otto, Erinnerung und Werk, 2 Bde., Düsseldorf 1983, Bd.1a, 515, 537; ders. in: Symposion
Informel 8. Oktober bis 12. Oktober 1982 – Die Malerei der Informellen heute. Ausstellung 8. Mai bis 19. Juni
1983, hg. v. Georg-W. Költzsch, Saarbrücken 1983, 46.


1 Jörg Eberhard, „Bild, Geste, Erzählung und Farbe“ in: Ute Schätzmüller, “edge of the void - Malerei,
Lithografie, Zeichnung“, Bönen 2012.

2 Adorno, Ästhetische Theorie, hg. v. Gretel Adorno u. Rolf Tiedemann, FfM 1973, 218.


3 Belting, Hans: Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst. München. 1998. S.29.